Jordanien | Individuell reisen - Aktueller Reiseführer JORDANIEN

Auszug aus der Todesanzeige an unsere Freunde

Sigrid hat uns verlassen

Sigrid IMG 2790

Sigrid, meine Frau und Reisegefährtin auf 40 Jahren Lebensweg und mein Lebensmittelpunkt hat heute, am 26. September 2002, ihre letzte Reise angetreten; das letzte Abenteuer, in das sie mit der ihr eigenen Paarung aus Neugier und Interesse eintauchte.

Diese allerletzte Reise ist eine Erlösung. Die vergangenen Wochen waren eine einzige Tortur für sie, nicht dazu angetan, noch länger in diesem Jammertal zu verweilen. Die fünfeinhalb Jahre seit Entdeckung der teuflischen, 12 mm großen Krebsgeschwulst waren geprägt von Hoffen und Bangen, von Bewusst-Wahrnehmen aller Lebensäußerungen, aber auch von vielen Augenblicken und Stunden großer Lebensfreude. Das waren vor allem Reisen, u. a. nach Oman, Marokko und mehrfach nach Ägypten, oder auch eine dreimonatige Reise entlang der spanischen Mittelmeerküste. Als 2001 Metastasen in der Leber auftraten, gaben wir die Hoffnung nicht auf.

Zu Beginn dieses Jahres zeigte ihre Krankheit zum ersten Mal die Krallen: Im Flieger nach Ägypten holte sie sich eine Grippe mit schwerer Bronchitis, die sie erst Wochen später wieder los wurde. Erst im Juni konnten wir dann auf eine erholsame Reise nach Korsika und Sardinien gehen – es sollte unsere letzte gemeinsame Reise gewesen sein. Ab Ende Juli begann die deprimierende Endphase der Krankheit.

Sigrid war mir eine phantastische Gefährtin für einen Lebensweg etwas am Rand der bürgerlichen Normalität. Die großen Entscheidungen, die unseren Weg manchmal jählings in eine andere Richtung lenkten, trug sie spontan mit. Als unsere Reisekreise immer mehr zunahmen und unsere Lust auf weitere Länder immer unstillbarer wurde, schlug ich ihr vor: Lass uns auf Weltreise gehen. Sie sagte sofort JA. Zwei Jahre später – 1971 - fuhren wir los.

Wir hatten unsere Besitztümer verkauft oder verschenkt, nur noch ein paar Kisten mit Büchern in München zurückgelassen. Drei Jahre lebten wir auf den sechs Quadratmetern im VW-Bus und gingen uns, wenn überhaupt, ganz selten mal auf die Nerven. Drei Jahre erlebten wir jede Minute, jeden Kilometer unserer Wegstrecke ganz intensiv mit offenen Augen und Gefühlen. Es war die größte, schönste und erlebnisreichste Zeit unseres Lebens. Sie bescherte uns immer wieder neue Blicke, Ansichten, auch Einsichten und Tageserlebnisse, genauso festigte sie unsere Überlebenspartnerschaft.

Als wir Ende 1974 finanziell völlig abgebrannt zurückkehrten, uns ein Einzimmerappartement in Münchens Olympiadorf schnuckelig (zum Teil aus Sperrmüll) eingerichtet hatten, bot mir 6 Monate später die UNO einen Job in Pakistan an. Wir hatten nur 8 Stunden Zeit uns zu entscheiden. Sigrid sagte spontan JA. Wir fuhren wieder nach Osten.
Nach der Rückkehr und zwei Jahren München bot mir die UNO einen ähnlichen Job in Afghanistan an, wir sagten erneut JA, aber der Einmarsch der Russen vereitelte diese Pläne. Stattdessen fuhren wir um den Jahreswechsel 1978/79 in einem großen Bogen durch die Sahara nach Westafrika und zurück. Sigrid nahm auch dieses Abenteuer und die Strapazen auf sich, mit 48 PS auf nur einer angetriebenen Achse, mit 17 Benzinkanistern am und im Auto 1400 km Tannesrouft-Piste bis zur nächsten sicheren Versorgung zurückzulegen.

Als ich nach der Rückkehr den Auftrag erhielt, eine Elektronik-Firma aufzubauen, blieben wir durch unsere Ägyptenführer der Reiseszene verbunden. Sigrid passte sich auch dieser neuen Situation sofort an. Sie wurde bald die von vielen Geschäftsfreunden geschätzte Gastgeberin, sie repräsentierte den menschlichen Teil in der Kampfeswelt der Geschäftsmenschen, ob es in München, New York oder Sydney war.

Nachdem ich mit 58 Jahren meinen Job an den Nagel hängen konnte und wir finanziell und zeitlich unabhängig wieder auf Reisen gehen wollten, stellte sich beim Check-up für die erste dieser Reisen ein Mamakarzinom heraus – unsere Träume und Pläne zerstoben zu einem Alptraum, der jetzt sein bitteres Ende gefunden hat.

Sigrids künstlerische Begabung war die Basis ihrer Fotografie. Tausende hervorragender Fotos schlummern in ihrem Archiv, dokumentieren unsere Reisen und unser Leben. Viele Male veranstalteten wir Diavorträge, bei denen wir die Zuschauer für die weite Welt begeistern konnten. Nicht zuletzt illustrieren ihre Fotos unsere Bücher in einer Weise, die unsere Sicht fremder Länder unterstreicht: Sehen und Verstehen.

Wil Tondok